Wie spürte Imad seine Frau auf? - Notwendige Anmeldung birgt Sicherheitsrisiko

Die Trauer um die vor einer Woche von ihrem Ehemann in Limburg ermordete Tunesierin hält an - und auch die Diskussion um die Sicherheit im Frauenhaus.
Limburg - Frauenhäuser sollen Schutzräume für Frauen sein, die sich zu Hause nicht mehr sicher fühlen. Die Angst haben vor ihren möglicherweise auch gewalttätigen Partnern. Aber wie sicher sind sie an ihrem Zufluchtsort, der streng geheim bleiben sollte?
Darüber wird nach dem bestialischen Verbrechen in Limburg lebhaft und kontrovers diskutiert. Dass der 34-Jährige Imad das Versteck seiner Frau Sana ausfindig gemacht hat und ebenso wie mehrere Verwandte mehrmals am Limburger Frauenhaus aufgetaucht ist, ist inzwischen bekannt. Wie er die Adresse ausfindig gemacht hat, wird noch ermittelt. "Wir wissen es noch nicht", sagte Manuel Jung von der Limburger Staatsanwaltschaft gestern dieser Zeitung. "Dieser Frage gehen wir selbstverständlich nach." Dass das Einwohnermeldeamt den Ort verraten hat, wie Bekannte des Opfers in Interviews behauptet haben, hält er für "ziemlich unwahrscheinlich".
Das Limburger Frauenhaus will sich zu dem Fall nach wie vor nicht äußern. Die Verantwortlichen sind empört über die auch am Tatort veröffentlichten Vorwürfe und die Berichte in den Medien und verweist an die "Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser" (ZIF) in Mannheim. "Den Kolleginnen eine Mitschuld zu geben, ist ungeheuerlich", sagt ZIF-Sprecherin Syvia Haller.
Gefährdung eingeschätzt
Sie erklärt, dass Frauen natürlich auch in Frauenhäusern nicht hundertprozentig sicher sein können. "Wir sind ja kein Gefängnis oder eine stationäre Einrichtung, in der jemand eingesperrt wird", so Haller. "Die Bewohnerinnen müssen sich selbst versorgen, also zum Einkaufen in die Stadt gehen und ihre Kinder in die Kita oder in die Schule bringen." Es komme leider immer wieder vor, dass die Adressen ohne böse Absicht weitergegeben würden - etwa im Job-Center, im Jugend- oder im Einwohnermeldeamt. Dass die Bewohnerinnen sich anmelden müssen, hält Haller für ein unnötiges Sicherheitsrisiko. Dies hängt mit der Finanzierung der Frauenhäuser zusammen und wird in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Hessen wird nur pro Fall gezahlt, also wenn eine Frau angemeldet ist.
Die Kritik, das Limburger Frauenhaus habe die Gefahr möglicherweise unterschätzt und hätte nach dem Auftauchen des Ehemanns schneller reagieren müssen, weist die ZIF-Sprecherin energisch zurück. "Nach einer solchen Gewalttat ist die Betroffenheit verständlicherweise groß, doch die meisten haben keine Ahnung, um was es geht. Das Verfahren ist sehr komplex." Ein großes Problem sei beispielsweise das Sorgeumgangsrecht. Wenn die Kinder zu weit vom Vater entfernt seien und die Mutter den Kontakt verhindere, könne ihr das später negativ ausgelegt werden.
Die Leitung des Frauenhauses schätzt laut Haller gemeinsam mit der Betroffenen und der Polizei die Gefährdung ein. Dies könne dazu führen, dass die Polizei mehr Streifen in diesem Gebiet fahre oder die Frau an einem anderen Standort untergebracht werde. "Aber das ist gar nicht so einfach", erläutert Syvia Haller. "Für manche Frauen ist es nicht vorstellbar umzuziehen und häufig mangelt es auch an freien Plätzen in den Frauenhäusern." Die Verantwortlichen im aufnehmenden Haus fragten sich, warum ist die Frau gefährdet und sind wir für sie sicher genug.
Nach Angaben der ZIF haben die 100 ihr angeschlossenen Frauenhäuser in Deutschland verschiedene Konzepte. Einige setzten auf absolute Anonymität, andere hätten Türschleusen, Kameras und eine direkte Leitung zur Polizei. Zur Situation in Limburg wollte sie nichts sagen.
Sana hatte mit ihren beiden zwei und drei Jahre alten Kindern seit Ende Juli in Limburg gewohnt; ihr Mann knapp 70 Kilometer entfernt in einem Dorf bei Mendig (Rheinland-Pfalz).
Die Mitglieder der Frauenkommission des Landkreises Limburg-Weilburg haben sich in ihrer Sitzung unter Leitung von Landrat Michael Köberle über das Verbrechen zutiefst erschüttert gezeigt. Die Kommission, die sich aus Vertreterinnen von 18 verschiedenen Frauenvereinen und -verbänden sowie weiblichen Kreistagsabgeordneten zusammensetzt und sich mit Themen der Geschlechtergerechtigkeit und Gewalt gegen Frauen befasst, ist über das Ausmaß der Gewalt in Form eines Femizides entsetzt und schockiert. "Es handelt sich hier um kein Familiendrama, sondern um einen brutalen Mord an einer Frau", so die Frauenbeauftragte des Landkreises, Ute Jungmann-Hauff.
Seit Langem wichtige Hilfe
Das Limburger Frauenhaus dürfe deshalb nicht angegriffen werden. "Es ist seit über 30 Jahren eine feste und wichtige Institution für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen oder bedroht sind. Hier erfahren Frauen professionelle Hilfe, Beratung und Unterstützung für sich und ihre Kinder", heißt es in der Mitteilung.
Die Staatsanwaltschaft will auch die Hintergründe, die im Zusammenhang mit dem Frauenhaus stehen, klären. Angeblich soll es ein Annäherungsverbot für Imad gegeben haben und die Unterbringung von Frau und Kindern in einer anderen Stadt vorbereitet worden sein. Wichtiger ist für die Strafverfolger zunächst jedoch der schriftliche Obduktionsbericht, der gestern immer noch nicht vorlag. Dass Sana durch das Auto getötet worden ist und die Axtschläge nicht erlebt hat, steht fest (siehe Bericht auf der Titelseite).
Fakten zum Limburger Frauenhaus
Wo befindet sich das Frauenhaus?
Das Frauenhaus Limburg ist sehr zentral gelegen. Man erreicht in nur wenigen Gehminuten wichtige Einrichtungen, Geschäfte und Spielplätze. Die genaue Adresse des Frauenhauses ist zum Schutz der darin lebenden Frauen geheim. Telefonisch sind die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Tag und Nacht erreichbar.
Wer kommt ins Frauenhaus?
Im Frauenhaus Limburg finden jährlich rund 60 bis 70 Frauen und ihre Kinder Schutz und Unterkunft. Einige werden von der Polizei, die zum Einsatz gerufen wurde, gebracht. Andere kommen auf Empfehlung von Freunden, Verwandten, aufgrund eines Beratungsgespräches, oder einer spontanen Entscheidung.
Was geschieht, wenn ich im Frauenhaus anrufe?
Mit einer Frau, die im Frauenhaus Limburg anruft, wird zunächst ein Termin und ein Treffpunkt vereinbart. Sie wird von einer Mitarbeiterin oder einer Bewohnerin des Frauenhauses abgeholt und versorgt. Eine Mitarbeiterin führt dann mit der Frau ein Aufnahmegespräch, bei dem sie von ihren Gewalterfahrungen erzählen kann. Anschließend werden die wichtigsten organisatorischen Dinge in die Wege geleitet und alle Fragen beantwortet. Nach dem Aufnahmegespräch bekommt die Frau das Schutzhaus gezeigt und wird den anderen Frauen vorgestellt.
Was ist, wenn kein Platz frei ist?
Natürlich kann es vorkommen, dass das Frauenhaus Limburg voll belegt ist oder die Frau aus Sicherheitsgründen in ein anderes Frauenhaus umziehen muss.
Ein Blick durch das Schlüsselloch:
Die Frauen leben im Frauenhaus auf drei Etagen mit je drei Wohnungen. Jede hat vier Zimmer. Jedes Zimmer bewohnt eine Frau mit ihren Kindern. Küche und Bad teilen sich die Frauen der jeweiligen Wohnung. Jede Wohnung hat 130 Quadratmeter. Die Zimmer sind zwischen 13 und und 31 Quadratmeter groß. Insgesamt gibt es Platz für 24 Personen. Die Frauen versorgen sich selbständig, gehen einkaufen, waschen, kochen, manche gehen arbeiten. Die Kinder gehen in Limburg zur Schule oder in den Kindergarten.
Alle Angaben von der Homepage des Limburger Frauenhauses. red
Femizid: Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist
Im Zusammenhang mit dem Verbrechen in Limburg taucht immer wieder der Begriff Femizid auf. Darunter versteht man den Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist und angeblich gegen tradierte und normative Rollenvorstellungen verstoßen hat. Femizide sind nach Angaben der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) keine dramatischen Einzelfälle, wie sie medial noch zu häufig dargestellt würden. "Sie haben System und sind Produkt eines gesellschaftlichen Ganzen", heißt es in einer Stellungnahme. "Frauen, die selbstbestimmt über ihr Leben, ihren Körper und ihre Sexualität entscheiden wollen, werden von denen, die dies nicht dulden, gewaltvoll bestraft." In Deutschland treten Femizide meist wegen der durchgeführten oder beabsichtigten Trennung vom Partner auf.
"Die Gewalt beziehungsweise der Mord muss als solcher benannt werden", sagte ZIF-Sprecherin Sylvia Haller gestern dieser Zeitung. Begriffe und Formulierungen, die verharmlosen und bagatellisieren, müssten unbedingt vermieden werden. Ebenso seien (Teil-) Schuldzuweisungen an die Betroffenen und deren Unterstützer, wie Frauenhäuser oder Beratungsstellen, dringend zu unterlassen.
Im Zuge der gesellschaftlichen Verkennung als vereinzelte Tragödien würden die Frauen zu Schuldigen an ihren eigenen Schicksalen, erläutert Haller. "Nicht die Täter, vornehmlich Männer, werden als Täter benannt; stattdessen werden die Biografie und das konkrete Verhalten der Frau herangezogen, um die Übergriffe zu begründen und letztlich zu rechtfertigen." Diese Täter-Opfer-Umkehr finde nicht nur Eingang in die mediale Verarbeitung von Femiziden. Wie aus Studien hervorgehe, walte auch vor Gericht häufig aufgrund des Fokussierens auf das Verhalten des weiblichen Opfers ein systematisches Nachsehen mit den Angeklagten.
hei
Am 25. Oktober tötet Imad A. in Limburg auf offener Straße seine Frau. Die Bluttat lässt viele Fragen zurück – nun gibt es auf einige Antworten.