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Mit dem Lied »Santo Domingo« fing alles an

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Amöneburg/Mücke (rha). Tobias Reitz denkt gerne an seine Schulzeit zurück, obwohl das »Schlagerthema« es ihm nicht immer leicht gemacht hat. Zwölf Jahre nach seinem Abitur kehrte der jüngste Schlagertexter Deutschlands dieser Tage zurück an die Stiftsschule in Amöneburg.

Er berichtete dort Schülern der Jahrgangsstufe 13 über seinen Werdegang. Als leidenschaftlichen »Schlagerfreak« beschrieben Mitschüler den Autor 1999 in der Abi-Zeitung des Jahrgangs. Dass er sein Hobby eines Tages zum Beruf machen würde, überraschte später viele von ihnen, am meisten jedoch den heute 32-Jährigen selbst.

Nach seinem Abitur an der Amöneburger Stiftsschule und anschließendem Zivildienst absolvierte Tobias Reitz, welcher gebürtig aus Mücke-Nieder-Ohmen stammt, ein Studium der Germanistik und Medienwissenschaft in Düsseldorf. Ursprünglich wollte er Journalist werden oder Schriftsteller, eventuell auch Moderator von »Wetten, dass . . ?« oder der »ZDF Hitparade«. 2001 erhielt Reitz jedoch ein Stipendium für die Celler-Schule, eine Ausbildungsstätte für Nachwuchsautoren.

Aus der darauffolgenden Zusammenarbeit mit seinem Lieblingskomponisten Jean Frankfurter ging schließlich die erste Veröffentlichung von Tobias Reitz hervor: Es war der Urlaubsschlager »Santo Domingo, die Sterne und du« für die Gruppe »Fernando Express«. Bis heute folgten über 300 Titelveröffentlichungen – unter anderem für Interpreten wie die Geschwister Hofmann, Semino Rossi, die Flippers, Stefanie Hertel und Helene Fischer.

Plötzlich in der Klatschecke

»Die Sterne und du«, habe eine ehemalige Lehrerin später einmal kritisch zu Reitz gesagt, »ich bitte dich!« Er habe sich damit abgefunden, dass gelacht werde, meinte der Schlagertexter jetzt bei seinem Besuch an seiner alten Schule. Sein Beruf sei eben keiner, von dem man sich vorstellen könne, dass es ihn überhaupt gibt.

Dennoch hat der Autor »unglaublichen Spa? an seiner Arbeit. Es gehe darum, ein Ventil zu schaffen mit einem Lied, durch das die Leute berührt werden. »Jeder Mensch hat eine subjektive Wirklichkeit mit bestimmten Schwierigkeiten. Ich glaube, wer diese Schwierigkeiten empfindet, braucht keine zusätzliche Wirklichkeit mehr«, erläuterte Reitz die Funktion des Schlagers.

Die Schüler interessierte, wie ein »junger Typ« auf vermeintlich altmodische Ideen für seine Texte kommt. Man müsse mit einem vergleichsweise kleinen Wortschatz Dinge, die schon 10 000-mal gesagt wurden, ausdrücken. »Ich habe schon immer eine Neigung zum geschriebenen Wort und zur Musik gehabt«, so der Schlagertexter. Da seine Eltern beide berufstätig waren, sei er als »Oma-Kind« aufgewachsen. »Ich bin mit dem Soundbild des Schlagers groß geworden.«

Reitz schilderte, wie wichtig es ist, dass die Texter hinter den Interpreten verschwinden. Er habe immer Musik machen wollen, aber nur Sprache gekonnt. »Man muss damit leben, dass man, wenn man einen Beruf in der zweiten Reihe erfüllt, auch in der zweiten Reihe zu bleiben hat«, erklärte Reitz. Seine Bestätigung zieht er aus der Zufriedenheit seiner Auftraggeber.

Wie schnell man unfreiwillig doch in die erste Reihe geraten kann, erlebte der Schlagertexter im Frühjahr. Plötzlich fand er sich auf der Titelseite einer Frauenzeitschrift wieder. Ihm wurde eine Beziehung zu Stefanie Hertel unterstellt. Glücklicherweise habe diese das Ganze locker aufgenommen.

Von seinem Beruf leben kann Reitz erst seit drei Jahren, obwohl er nebenher noch Pressetexte für eine Plattenfirma verfasst. Nach seiner ersten großen Veröffentlichung wurde es zunächst eine Weile ruhig um den Autor. »Am Anfang muss man Klinken putzen. Das kann hart und nervig sein«, berichtete Reitz. In den meisten geisteswissenschaftlichen Berufen sei es so, dass die Wege oftmals nicht gradlinig verlaufen.

Leidenschaft entwickeln

Der Vorsitzende des Ehemaligenvereins Amoeneburgia, Stefan Heck, sagte, es sei wichtig, den Schülern jemanden mit einem solchen, noch relativ jungen Lebensweg vorzustellen. »Kurz vor dem Abitur macht es Sinn, über den Tellerrand hinauszuschauen.« Für die Schüler war die Veranstaltung dann auch von praktischem Nutzen, denn Reitz stellte ihnen eine Methode zum Umgang mit Schreibblockaden vor, die er selbst bei seinem Abitur gerne schon gekannt hätte. Außerdem las er ein Kapitel aus seinem im Juli zusammen mit Edith Jeske veröffentlichten »Handbuch für Songwriter«. Der abschließende Rat von Tobias Reitz an die Schüler lautete, sich Zeit zu nehmen, um in sich zu gehen. »Was kann ich wirklich? Was will ich wirklich?« Denn das Schönste sei es, Dinge, zu denen man eine Leidenschaft entwickeln könne, umzusetzen.

Bei der Vorlesung des Schlagertexters durfte am Ende eines nicht fehlen: Schlager. »Ihr müsst jetzt ganz stark sein«, meinte Reitz lachend, als er Helene Fischers »Wär’ heut’ mein letzter Tag« vorspielte. Entgegen aller Befürchtungen gab es für Lied und Texter jedoch reichlich Applaus. Stefan Völker, Lehrer und Geschäftsführer der Amoeneburgia, resümierte: »Die Offenheit für den deutschen Schlager ist nicht so gering, wie man vermuten könnte.«

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