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Die Lahn – ein Pilotprojekt für Europa

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Koordinatorin vonseiten des RP: Bauoberrätin Wiebke Büschel.
Koordinatorin vonseiten des RP: Bauoberrätin Wiebke Büschel. © gäd

Wiebke Büschel hat die Lahn immer im Blick: Über ihrem Schreibtisch hängt eine Karte des Flusses – sie ist mit vielen bunten Schildchen versehen. Dahinter verbergen sich unter anderem die Projekte, die das Regierungspräsidium (RP) Gießen zur Initiative »Living Lahn« beisteuert. Wiebke Büschel ist seitens des RP für die Koordination zuständig. Sie weiß: An der Lahn gibt es noch viel zu tun.

Die Lahn – unendliche Weiten. Von der Quelle bis zur Mündung auf rund 245 Kilometern. Der Fluss ist zwar immer noch eine Bundeswasserstraße, wird aber längst nicht mehr als solche benötigt. Heute wird die Lahn vor allen Dingen touristisch genutzt – von Kanuten, Paddlern und von Motorsportfreunden. Und auch die Angler schätzen das Revier. Stehen also Veränderungen an, gilt es, viele Parteien – im wahrsten Sinne des Wortes – mit ins Boot zu holen.

Bei dem LIFE-Projekt »LiLa – Living Lahn« arbeiten der Bund, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen, um entlang des Flusses »einen guten ökologischen Zustand, einen umweltverträglichen Hochwasserschutz und einen nachhaltigen Tourismus zu erreichen«, wie es in der Projektbeschreibung heißt.

LIFE ist ein spezielles Förderprogramm der Europäischen Kommission zur Finanzierung einer integrierten Entwicklung in einer Region. Die Europäische Kommission stellt rund neun Millionen Euro zur Verfügung, weitere etwa sechs Millionen Euro steuern die Partner über die Laufzeit des Projektes von zehn Jahren bei. Partner sind neben dem hessischen und dem rheinland-pfälzischen Umweltministerium das RP Gießen, die Bundesanstalt für Gewässerkunde, die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (Rheinland-Pfalz) und das Wasser- und Schifffahrtsamt Koblenz.

Von diesen 15 Millionen Euro hat allein das RP Gießen den Löwenanteil von 8,9 Millionen Euro für Planung und Umsetzung seiner Projekte erhalten (wir berichteten). 60 Prozent der Investitionssumme übernimmt die EU, 40 Prozent das Land Hessen – über einen Zeitraum von zehn Jahren. Bauoberrätin Büschel gibt einen Überblick über das, was in den kommenden Jahren geplant ist: 8 1.

An Kerkerbach und Perf: Den Anfang machen – geografisch gesehen – zwei Projekte, die ein gemeinsames Ziel haben und zusammen betrachtet werden müssen: An Kerkerbach (Limburg-Weilburg) und Perf (Marburg-Biedenkopf), beides Zuflüsse der Lahn, sollen invasive Pflanzenarten bekämpft werden – beides mit Langzeitwirkung und Pilotfunktion. Dabei soll ein Gewässer, das durch menschlichen Einfluss stark verändert wurde und wird (Perf), einem weniger stark veränderten Gewässer (Kerkerbach) gegenübergestellt werden.

Im Visier hat man unter anderem das Springkraut, die Herkulesstaude oder den japanischen Staudenknöterich. Pflanzen, die eigentlich hier nicht beheimatet sind und eine zu starke Konkurrenz zu den heimischen Gewächsen darstellen. Dabei geht es vor allem um Präventivmaßnahmen, aber auch um die aktive Bekämpfung. So stehen an der Perf Baumaßnahmen an, die man begleiten möchte. Die Frage ist, ob man beispielsweise durch eine spezielle Reinigung der Baustellenfahrzeuge verhindern kann, dass die Samen der Pflanzen weitergetragen werden. »Wir müssen herausfinden, was möglich ist und was sich nicht lohnt.

« Und: Man möchte Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung leisten und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Verbreitung dieser Pflanzenarten nicht unproblematisch ist. Die beiden Projekte sollen über die gesamten zehn Jahre laufen.

2. Von NRW bis nach Marburg: Von der Landesgrenze Nordrhein-Westfalens bis nach Marburg erstreckt sich das zweite Projekt. Auf dieser Strecke ist die Lahn teilweise weit entfernt von einer natürlichen Dynamik. Durch Begradigungen und Uferverbau wurde auch der Sedimenttransport im Gewässer stark verändert. Natürlicherweise würde im Bereich der oberen Lahn ein kiesiges Sediment mit vielen Lücken am Gewässergrund vorherrschen. Heute lagert sich vor allem in langsamer fließenden Gewässerabschnitten, zum Beispiel vor den Wehren, oft feines Sediment ab und setzt die Kieslücken zu. Äsche und Nase nutzen diese Lücken aber als Laichgründe. Daher will man beispielsweise den Uferverbau entfernen, damit sich das Wasser wieder seinen natürlichen Weg sucht. Darüber hinaus sollen Totholz sowie Steine eingebracht werden, um dem Gewässer neue Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen.

»Wir wollen eine Dynamik, die wieder in Richtung natürlich geht«, sagt Büschel, die von einer »Möblierung des Gewässers« spricht. Baumaßnahmen sowie Aufzucht und Besatz der Fische sind ebenfalls auf zehn Jahre angelegt.

3. »Gisselberger Spange«: Im Bereich der Stadt Marburg wird eine weitere Maßnahme geplant: An der sogenannten »Gisselberger Spange«, einem monoton verlaufenden Gewässerabschnitt südlich des Marburger Stadtteils Gisselberg, soll die Lahn ebenfalls wieder in natürlichere Bahnen gelenkt werden. Beispielsweise durch den Einbau von Totholz. Die Idee zu dieser Maßnahme kam ursprünglich von der Stadt und den örtlichen Fischerei-Vereinen. Die Zusammenarbeit bei einem früheren Projekt verlief so gut, dass man die Partnerschaft erneuerte. Die Planung und ein kleiner Teil der Umsetzung ist durch die Fischereiabgabe bereits gedeckt. Durch die zusätzlichen Mittel aus dem LIFE-Projekt ist es möglich, die Maßnahme in vollem Umfang durchzuführen. Der Beginn der Maßnahme ist für Ende 2016 geplant.

4. Lahnfenster in Gießen: Das Lahn-Projekt beschäftigt sich auch mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit. Am Lahnfenster soll unter anderem ein sogenannter »Touch«-Kiosk, eine Säule mit interaktivem Bedienfeld, aufgestellt werden. Damit sollen Besucher die Möglichkeit erhalten, sich auch außerhalb der Öffnungszeiten des Lahnfensters zu informieren. Auch interaktive Spielmöglichkeiten für Kinder werden am Touch-Kiosk verfügbar sein. Dieses Projekt soll noch in diesem Jahr umgesetzt werden.

5. Gießener Weststadt: Ebenfalls unter die Überschrift Öffentlichkeitsarbeit fällt das nächste Projekt: Im Bereich der Gießener Weststadt wurden bereits vor einiger Zeit sogenannte Furkationsrinnen angelegt, die je nach Wasserstand die Versorgung der Aue mit Wasser regeln. Auch hier soll eine Informationsplattform installiert werden. Diese Maßnahme soll ebenfalls noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden.

6. »Heuchelheimer Banane«: »Das ist eine klassische Renaturierungsmaßnahme«, erläutert Büschel. Bei der sogenannten »Heuchelheimer Banane« handelt es sich um einen Altarm, der zwischen der Lahnparkstraße und der Bundesstraße in einem Vogelschutzgebiet liegt. Der Altarm, der seinen Namen durch seine Form erhalten hat, ist nur zu einer Seite mit der Lahn verbunden. Nun ist geplant, einen weiteren Durchstich vorzunehmen, damit das Gewässer, das auch den Namen »Die Bleiche« trägt und im Moment ruhig und still vor sich hin steht, neuen Schwung erhält. Zudem schaffe man eine weitere Verbindung zur Aue und den dort lebenden Tierarten. Der mittelfristige Plan für das Vorhaben steht. »Die Grundlagen sind bereits geschaffen, bis Endes des Jahres wollen wir mit diesem Projekt durch sein«, erklärt Büschel.

7. Zwischen Atzbach und Heuchelheim: Ebenfalls in einem Vogelschutzgebiet liegt das nächste Projekt. In der Lahnaue zwischen Atzbach und Heuchelheim soll in dem dortigen Vogelschutzgebiet Ähnliches wie bei der »Heuchelheimer Banane« geschaffen werden. Auch hier geht es um den Anschluss von Altarmen der Lahn und um eine stärkere Strukturierung der Lahn in diesem Abschnitt. Allerdings ist diese Maßnahme eher langfristig angelegt. Konkrete Planungen hierzu liegen noch nicht vor.

8. Solms-Oberbiel und Altenberg: 55 Prozent des Lahnverlaufs sind staugeregelt. Das heißt, die Wehranlagen bestimmen die Dynamik des Flusses. Im Bereich vor den Wehren verlangsamt sich die Fließgeschwindigkeit deutlich. Vor den Wehren in Solms-Oberbiel und Altenberg soll im Rahmen des LIFE-Projekts erforscht werden, was passiert, wenn man auch diesen Bereich »möbliert«, das heißt kleine Inseln anlegt, das Ufer öffnet oder Totholz einbaut. Detaillierte Forschungsergebnisse, wie sich ein gestautes Gewässer verändert, gibt es noch nicht. Nun soll wissenschaftlich untersucht werden, wie sich die Struktur des Gewässers wandelt.

Im Moment ist man dabei, entsprechende Ideen auf den Weg zu bringen, die Umsetzung ist für 2018 geplant, ab 2021 sollen dann die Untersuchungen stattfinden.

9. Der Ulmbach: Der Ulmbach ist ein etwa 23 Kilometer langer Nebenfluss der Lahn, der komplett auf dem Gebiet des Lahn-Dill-Kreises verläuft. Am ersten Wehr hinter der Mündung des Ulmbachs in die Lahn will man seitens des RP tätig werden: Das Wehr soll für Fische durchgängig gemacht werden. Der Beginn der Umbaumaßnahme ist für das Jahr 2019 geplant.

Hessen bis zur Mündung: Die letzte Maßnahme, bei der das RP federführend ist, umfasst den Bereich der Lahn in Hessen und in Rheinland-Pfalz bis zur Mündung in den Rhein (nicht in der Karte eingezeichnet): Der Aal wächst in den Oberläufen des Flusses auf. Zur Laichzeit muss er einen langen Weg zurücklegen – bis in den Atlantischen Ozean. Die Jungtiere kehren dann später wieder in die heimischen Gewässer zurück. Um diesen natürlichen Lebenszyklus möglich zu machen, sind die Betreiber der Wasserkraftwerke verpflichtet, Fischschutzanlagen einzubauen.

Doch nicht alle diese Anlagen sind auf dem neuesten Stand der Technik, sodass der Aal an verschiedenen Turbinenanlagen Schwierigkeiten hat, den richtigen Weg zu finden. Nun sucht man beim RP nach einer Übergangslösung. Einerseits darf man die gesetzlichen Regelungen nicht aushebeln, andererseits soll der in seinem Bestand gefährdete Aal möglichst gefahrlos seinen Weg zurücklegen können. An ungefähr zehn Stellen sollen daher Messstationen installiert werden, um die Aal-Bewegungen zu erfassen. Es soll eine Informationskette in Gang gesetzt werden, damit die Kraftwerksbetreiber ihre Turbinen entsprechend einstellen und die Aale quasi hindurchschlüpfen können. In Oberbiel läuft dazu ein Modellversuch.   Gerd Chmeliczek

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