Kasseler Oberbürgermeister tritt nicht zur Stichwahl an

Kassel - Kassels amtierender Rathaus-Chef Christian Geselle wird zur Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt nicht antreten, obwohl er bei der Wahl am Sonntag die meisten Stimmen bekam. Der SPD-Politiker war nach parteiinternen Streitigkeiten als unabhängiger Kandidat angetreten und erhielt 31,5 Prozent der Stimmen. Dem 47-Jährigen folgte der 50-jährige Sven Schoeller (Grüne) mit 27,8 Prozent.
Schoeller tritt nun am 26. März allein zur Stichwahl an.
Geselle sagte, er habe die Entscheidung zum Rückzug mit Blick auf die letzten Monate und Wochen getroffen, die für seine Familie und ihn nicht leicht gewesen seien. »Es gab einige Vorfälle und Diffamierungen, die meine Familie doch schon sehr beeinträchtigt haben, bis hin zu nächtlichen Aktionen vor unserer Haustür«, erklärte der Rathaus-Chef. »Ich wünsche mir, dass die politische Kultur in dieser Stadt nicht langfristig Schaden nimmt.«
Strafanzeige nach anonymen Brief
Geselle spielte damit unter anderem auf einen anonymen Brief an, in dem ihm vor einigen Wochen Defizite bei der Personalführung vorgeworfen wurden. Er hatte Strafanzeige gegen die unbekannten Verfasser gestellt und gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
»Ich bin immer ein Freund der klaren Worte gewesen«, sagte Geselle am Sonntagabend. Dieser Linie bleibe er auch am Wahlabend treu. Bei der Oberbürgermeisterwahl 2017 habe er 57 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. »Jetzt sind es 31 Prozent. Dafür bin ich sehr dankbar.« 18 500 Wählerinnen und Wähler seien eine deutlich Zustimmung. »Gleichwohl bin ich natürlich nicht blind«, sagte Christian Geselle. Im Vergleich seien es 26 Prozentpunkte weniger. »Das ist auch ein deutliches Wort.« Das sei in einer Demokratie auch völlig in Ordnung, aber er habe sich entschieden, nicht in die Stichwahl zu gehen. Dafür erntete er sowohl Applaus als auch Buhrufe.
Streit mit der eigenen Partei
Weil im ersten Wahlgang keiner der sechs Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erhielt, gibt es die Stichwahl. Die gut 145 000 wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger können Ende März nun nur mit Ja oder Nein abstimmen. Damit Schoeller neuer Oberbürgermeister wird, müsse er im zweiten Wahlgang mindestens 50 Prozent Zustimmung bekommen, erklärte Wahlleiterin Anja Morell. Andernfalls käme es zu einer Neuwahl - dann wieder mit mehreren Kandidaten.
Der SPD-Politiker Geselle hatte sich mit seiner Partei überworfen, nachdem im Juni vergangenen Jahres die rot-grüne Koalition im Kasseler Rathaus geplatzt war. Die Sozialdemokraten hatten zunächst Koalitionsgespräche mit der CDU aufgenommen, später aber deren Abbruch gegen den Willen des Oberbürgermeisters mehrheitlich beschlossen. Geselle kündigte daraufhin in einem offenen Brief an, bei der Oberbürgermeisterwahl nicht mehr als SPD-Kandidat, sondern als unabhängiger Bewerber anzutreten. dpa