Von Hypes und Flauten

Gießen (csk). Die Geschichte der »Fidget Spinner« verrät ziemlich viel über die Weltwirtschaft. Ende 2016 besaß noch kaum jemand das trendige Spielzeug, aber alle wollten wissen, wo man es bekommt. Ein Jahr später hatten Millionen Menschen weltweit einen dieser Handkreisel, aber kaum jemand wollte noch etwas davon wissen. »Wir haben diese Kreisel flugzeugladungsweise um den Globus geflogen«, erzählte Peter Gerber am Dienstagabend beim »Mittelstandskolleg« der Volksbank Mittelhessen. Zwei Punkte illustrierte der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa Cargo AG mit den Plastikdingern: Die allgemeine Geschwindigkeit im Luftfrachtverkehr - und die bisweilen völlig unvorhersehbare Entwicklung ökonomischer und sozialer Hypes.
Für die prognostizierbaren Facetten globaler Wirtschaft war neben dem Gießener Gerber auch der Konjunkturexperte Dr. Frank Engels (Union Investment Privatfonds) angereist. »Sinkflug oder Durchstarten?« hieß die Frage des Abends. Und die beherzte Antwort der Referenten lautete: Weder noch. Zwar befinde sich die Weltkonjunktur »an einer kritischen Stelle«, betonte der »Theoretiker« Engels.
Gerade Deutschland taumele angesichts des hinter Italien zweitniedrigsten Wachstums in der EU. Die Industrie stecke hierzulande bereits »in einer klassischen Rezession«, die Arbeitslosigkeit steige »verdeckt« in Form von Kurzarbeit. Aber was jetzt bevorstehe, sei eine »holprige Landung« - also kein neues Durchstarten und kein totaler Absturz.
Handelspartner in der Bredouille
Als wichtigste Gründe für diese diffuse Situation nannte der Volkswirtschaftler »auf absehbare Zeit« niedrige Zinsen im Euroraum, den Investitionsstau sowie die Fetischisierung der »schwarzen Null« in Berlin (»Wir sparen uns arm«) und die weltpolitische Lage. Die drei wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik steckten samt und sonders in der Bredouille: Großbritannien wegen der Unsicherheit beim Immer-noch-nicht-Brexit, die USA und China durch den trumpesken Handelskonflikt und wechselseitige Zölle. Überhaupt, die Zölle: »Sie schädigen Produzenten und Konsumenten gleichzeitig«, sagte Engels, »und es gibt dabei einfach keinen Gewinner.«
Zu den frühesten Verlierern konjunktureller Einbrüche gehöre häufig der Luftfrachtverkehr, erläuterte Gerber. Weil der Transport von Waren im Flugzeug relativ teuer sei, lohne er nur bei luxuriösen, gefährlichen, verderblichen oder unmittelbar nachgefragten Gütern. Außerdem orderten Unternehmen die Frachtflugzeuge extrem kurzfristig, was wiederum eine starke Abhängigkeit von der jeweils vorherrschenden Konjunktur bedeute. So seien die chinesischen Luftfrachtexporte durch Trumps Zölle binnen weniger Monate fast zur Hälfte weggebrochen. Der Hype um den »Fidget Spinner« habe hingegen 2017 für einen Miniboom gesorgt. Im »zunehmend herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld« bleibe die Cargo-Branche schwierig, erläuterte Gerber. Für die zweite Jahreshälfte 2020 erwarte er jedoch einen neuerlichen Aufschwung. Global betrachtet, erscheine die Konjunktur ohnehin »sehr robust«, unterstrichen beide Experten. Engels plädierte schließlich für »kluge Geldanlagen« wie Aktien und Immobilien sowie nachhaltige und ökologische Produkte, Gerber forderte eine aktivere »Fiskal- und Strukturpolitik« und generell mehr Optimismus. »Langfristig überwiegen ganz klar die Chancen«, resümierte er mit Blick auf die zunehmend globalisierte und digitalisierte Weltwirtschaft.
Zu guter Letzt präsentierte Moderator Jens Fürbeth dann einen Gast, »der seit Jahren nur die Hochkonjunktur kennt«. Oliver Frankenbach, Finanzvorstand von Eintracht Frankfurt, mochte dem nicht recht widersprechen. Nicht für die Kicker aus Mainhattan und schon gar nicht für die Branche insgesamt: »Im Profifußball ist ein konjunktureller Einbruch aktuell nicht zu erwarten.«