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Heute mal Hindi

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Englisch geht ja noch. Bei einer zweiten Fremdsprache wird es bei vielen dann schon eng. Dabei gibt es Menschen, die sich fast überall auf der Welt in der Landessprache verständigen können. Auch bei YouTube ist Mehrsprachigkeit »in«.

Von TIM

Englisch, Deutsch, Lettisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Russisch und Portugiesisch. Lina Vasquez beherrscht alle diese Sprachen. Sechs davon – unter anderem Deutsch – fließend, Portugiesisch lernt die 22-Jährige gerade, die in Lettland geboren, in Australien aufgewachsen und ein Jahr in Mannheim zur Uni gegangen ist. Mit dem Lernen einer Sprache höre man nie wirklich auf, sagt sie. »Selbst in meiner Muttersprache Englisch lerne ich fast täglich neue Begriffe.«

Das Lernen neuer Sprachen macht in unserer vernetzten Welt viel Sinn. Allein auf unserem Kontinent gibt es etwa 225 Varietäten. Das sind lediglich drei Prozent der Sprachen auf der Welt, deren Bevölkerung mittlerweile zu über 50 Prozent bilingual ist, also neben der Mutter- noch mindestens eine Zweitsprache beherrscht. Menschen, die wie Vasquez gleich mehrere Sprachen sprechen, nennen sich polyglott. Das Wort – in der Variante mit einem »t« – ist vor allem im englischen Raum verbreitet, in Deutschland wird häufig von Multilingualen oder auch Mehrsprachigen bzw. Vielsprachlern gesprochen. Der deutsche Diplomat Emil Krebs etwa, der 1930 verstarb, beherrschte 68 Sprachen, darunter viele chinesische Dialekte, auch Finnisch, Tibetisch und Hindi.

Auf ihrem YouTube-Channel »The Busy Linguist« (zu Deutsch etwa: der fleißige Linguist) gibt Vasquez eindrucksvoll Einblick in ihre Sprachkollektion. Über 7000 Menschen haben sie dort abonniert, beliebte Videos haben Zehntausende Klicks. Deutsch nimmt bei ihr einen besonderen Platz ein: »Als Kind hatte ich den ersten Kontakt mit der deutschen Sprache, als ich die Serie ›Kommisar Rex‹ jede Woche mit meiner Oma geschaut habe. Und da ich immer sehr wissbegierig war, wollte ich es einfach verstehen, ohne die Untertitel lesen zu müssen.«

Heute liebe sie die Sprache, die Menschen, die Kultur, die aus Vasquez’ Sicht der lettischen sehr ähnlich ist. In ihren Videos gibt sie Sprachlerntipps oder erzählt etwa, wie sie fließend Deutsch gelernt hat. Vasquez spricht Deutsch nicht nur fehlerlos, sie bringt auch den deutschen Singsang akzentfrei über die Lippen; setzt die landestypischen »Ähs an die zu erwartenden Stellen und baut stilsicher Redewendungen ein. Weniger als fünf Jahre habe sie gebraucht, um Deutsch auf diesem Level zu sprechen, erzählt sie, nur eines davon habe sie in Deutschland an der Uni verbracht.

Was Vasquez, die auch außerhalb YouTubes als Sprachlehrerin arbeitet, als Geschäftsmodell entdeckt hat, ist bei vielen beliebt. Die britischen Geschwister Michael und Matthew Youlden tauchen auf dem Videoportal immer wieder auf, generieren wie der US-Amerikaner Tim Doner Millionen Klicks. Populär sind vor allem die Videos, in denen sie wortgewandt durch unzählige Landessprachen wechseln. Neue Sprachen lernen sie in wenigen Wochen.

Fleiß und Motivation

Für den Normalbürger kann das ein Ansporn sein. In so kurzer Zeit eine Sprache zu lernen, ist allerdings alles andere als der Regelfall. Romanistik-Professor Joachim Born, der an der Gießener Justus-Liebig-Universität lehrt und selbst sieben Sprachen fließend bzw. auf hohem Niveau beherrscht, steht Angeboten im Internet, die mit Ultraschnell-Kursen werben, skeptisch gegenüber. Auch wenn es keinen Königsweg beim Lernen gebe, »am besten ist sicher ein systematischer Unterricht im betreffenden kulturellen Umfeld, also vor Ort«.

Eine Gabe zum Spracherwerb sei dabei nicht alles: »Vor allem Fleiß und Motivation sind wichtig. Ich bin immer skeptisch, wenn ich höre, dass jemand kein ›Talent für Sprachen‹ habe – ich kenne viele eher einfache Völker, bei denen Mehrsprachigkeit der Alltag ist.«

Auch für Vasquez sind Fleiß und Motivation Schlüsseleigenschaften beim Sprachenlernen. »Man muss an erster Stelle einen starken Grund dafür haben, warum man die Sprache lernt. Sei es für die Arbeit, die Liebe oder aus purem Interesse: Das entscheidet, ob man das Ziel erreichen wird oder nicht. Man muss nicht jeden Tag drei Stunden lang lernen, aber wichtig ist, dass man eine Gewohnheit aufbaut und genauso wie man täglich die Zähne putzt, sollte man sich jeden Tag oder alle paar Tage mit der Sprache beschäftigen.«

Und allzu viele Vokabeln muss man auch gar nicht können: Während die meisten Sprachen aus 50 000 und mehr Wörtern bestehen, benutzt man in der Alltagssprache zumeist nur wenige Hundert.

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