tanzen, nicht nachvollziehen. Nancy Faeser ist mit voller Kraft und ganzer Aufmerksamkeit Bundesinnenministerin, diese Aufgabe zu erfüllen, hat oberste Priorität für sie. Deshalb wird sie sich, was die Wahlkampftermine im Land angeht, auf die Zeit nach den Sommerferien konzentrieren.
Eine Herausforderung auch für Sie als Wahlkampfmanager.
Nancy Faeser und ich sind seit Langem ein eingespieltes Team, wir kennen uns seit vielen Jahren und sind privat befreundet. Ich habe mir immer gewünscht, dass sie für das Amt der Ministerpräsidentin kandidiert, von daher freue ich mich sehr auf die Aufgabe. Die Digitalisierung gibt uns alle Möglichkeiten, uns ohne physische Anwesenheit miteinander abzustimmen. Unsere Wahlkampfleitung tagt beispielsweise fast nur online, deshalb ist es kein Problem, wenn Frau Faeser nicht in Hessen ist.
Womöglich kennen nicht alle Menschen in Hessen Frau Faeser. Reicht ein kurzer Wahlkampf, um ihre Inhalte zu vermitteln?
Nancy Faeser macht seit 30 Jahren Politik in Hessen und für Hessen. Sie ist jahrelang durchs Land getourt, es gibt wahrscheinlich keine Polizeistation, die sie noch nicht besucht hat, die Menschen kennen sie. Und natürlich werden wir die Chancen der Digitalisierung nutzen. Wir planen viele Formate, bei denen Bürgerinnen und Bürgern online mit unserer Spitzenkandidatin ins Gespräch kommen können.
Viele Politiker:innen kandidieren aus Ämtern heraus. Könnte es auf die Menschen in Hessen aber nicht doch unentschlossen wirken, dass Frau Faeser nur bei einem Wahlsieg zurück nach Hessen kommt?
Nein, die Stärke der Argumentation liegt ja gerade in ihrer Klarheit. Nancy Faeser war 18 Jahre lang Landtagsabgeordnete, sie muss nicht beweisen, dass sie für die Hessinnen und Hessen da ist. Wenn die Wählerinnen und Wähler das wollen, kommt sie als Ministerpräsidentin zurück – das ist ein klares Angebot. Oppositionsführerin in Hessen war sie schon, aber eine führungsstarke, kompetente und zugewandte Frau wie Nancy Faeser gehört in eine Regierung.
Das sehen CDU und Grüne in Hessen anders.
Klar, Nancy Faeser ist schließlich eine echt starke Konkurrenz. Andererseits ist Boris Rhein ja im vergangenen Jahr nur Ministerpräsident geworden, um aus dem Amt heraus Wahlkampf führen zu können. Volker Bouffier musste gehen, damit die CDU einen Kandidaten mit Amtsbonus in die Wahl schicken kann. So gesehen ist die aktuelle Kritik aus der CDU an Nancy Faeser ziemlich verlogen.
Sie haben getwittert, dass die Kritik bei einem Mann womöglich nicht so hochgekocht wäre. Sehen Sie Sexismus bei CDU und Grünen?
Bei der CDU wundert mich da gar nichts, deren Rollenbilder kenne ich. Bei den Grünen hat mich der schrille Ton der Kritik sehr erstaunt. Aber: Ja, ich bezweifele, dass das bei einem männlichen Kandidaten genauso gewesen wäre.
Bei der Wahl treten nun drei sehr starke Kandidat:innen an. Wird es ein Dreikampf um Platz eins geben?
Ich denke, mit einem amtierenden Ministerpräsidenten und einer Bundesministerin begegnen sich im Wahlkampf zwei Schwergewichte. Ein hessischer Landesminister spielt nicht in dieser Gewichtsklasse – erst recht, wenn die Ergebnisse seiner politischen Arbeit nach zehn Jahren im Amt so überschaubar sind wie bei Tarek Al-Wazir. Ich sehe jedenfalls nicht, dass er eine besonders beeindruckende Bilanz vorweisen könnte.
Der aktuelle Hessentrend zeigt allerdings keine Wechselstimmung. Die CDU liegt vorne.
Umfragen zeichnen ein Stimmungsbild, und danach sind wir ganz aktuell auf Platz zwei, nur noch einen Prozentpunkt von der CDU entfernt. Deswegen glaube ich, dass wir auch Platz eins noch gut erreichen können – bis zum 8. Oktober ist es ja noch eine Weile hin. Bei der Bundestagswahl 2021 haben wir in Hessen das beste Ergebnis geholt, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diesen Erfolg bei der Landtagswahl wiederholen können.
Sie sprechen davon, dass die schwarz-grüne Koalition verbraucht ist. Dabei hat sie in diesen Krisenzeiten durchaus geräuschlos regiert, einen Doppelhaushalt aufgestellt und Initiativen wie das Wohnraumfördergesetz oder das neue Klimagesetz auf den Weg gebracht.
Schwarz-Grün steht am Ende bloß für den Erhalt der eigenen Macht. Das, was Sie als geräuschlos beschreiben, ist letztlich nur die Politik des allerkleinsten gemeinsamen Nenners. Statt inhaltliche Positionen miteinander zu verhandeln, machen CDU und Grüne bei strittigen Themen einfach nichts oder nicht das Richtige. Da kann aktuell zum Beispiel ein Posten im Vorstand der Bundesbank nicht besetzt werden, weil die Koalition sich nicht einigen kann, ob nun ein schwarzer oder ein grüner Parteifreund dran ist.
Oder nehmen Sie den Klimaschutz: Als wir unser Klimaschutzgesetz vorgelegt haben, hieß es, man brauche das nicht. Dann hat Schwarz-Grün doch ein eigenes Gesetz verabschiedet, das bei weitem nicht ausreicht und deswegen zu Recht von den Umweltverbänden kritisiert wird. Hessen braucht aber eine Regierung, die kraftvoll und entschieden handelt, ob in der Klimapolitik, in der Arbeitsmarktpolitik oder in der Sozialpolitik. Gerade der soziale Ausgleich fehlt im Moment total.
Wo sehen Sie Nachholbedarf in Hessen?
Die Frage, an der alles hängt, ist doch, wie wir unsere Wirtschaft und die Beschäftigten bei der digitalen Transformation und auf dem Weg zu einem CO₂-neutralen Wirtschaften unterstützen. Die SPD wird dabei um jeden Arbeitsplatz in Hessen kämpfen und auch dafür, dass neue geschaffen werden. Und dann mangelt es in Hessen an Vielem, was ein gutes, sicheres Leben ausmacht: Bezahlbarer Wohnraum, genügend Haus- und Fachärzte, ausreichende Pflegeplätze vor Ort. Bei all diesen Themen muss dringend etwas geschehen, aber die Landesregierung verschläft die notwendigen Schritte leider komplett.
Sie sind bildungspolitischer Sprecher ihrer Fraktion. Wie sehen Sie den Bereich Bildung?
Vor allem kritisiere ich den Mangel an Chancengleichheit im hessischen Bildungssystem. Da gibt es einen ganz großen Nachholbedarf. Es fehlt an Lehrkräften, Ganztagsplätzen und Konzepten für einen digital gestützten Unterricht. Wir wissen alle, welchen Unterschied es macht, wenn Kinder zu Hause beim Lernen Unterstützung haben, oder eben nicht. Andere Länder müssen sich überhaupt nicht auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsgrundschulen vorbereiten, die haben den schon längst erfüllt. Die vielen Vertretungskräfte, die an den Schulen sind, sollten besser qualifiziert und bezahlt werden – auch in den Sommerferien. Sie müssen raus aus den prekären Beschäftigungsverhältnissen. Zudem braucht es mehr Studienplätze für Lehrkräfte an den hessischen Universitäten. Außerdem muss das Land die Schulträger dringend bei nötigen Sanierungen unterstützen.
Die CDU regiert in Hessen seit bald 25 Jahren. Was ist bei dieser Landtagswahl anders?
Die CDU ist einfach fertig. Genau wie die ganze Regierung. Inzwischen haben vier amtierende Ministerinnen und Minister der schwarz-grünen Koalition angekündigt, bei der Wahl nicht mehr anzutreten, das gab es meines Wissens so noch nie. Und es zeigt ganz deutlich, wie verbraucht diese Regierung ist. Es ist Zeit für eine neue Kraft, die Hessen modernisiert und neue Ideen hat. Es gibt so viel zu tun in Hessen, in der Bildungspolitik, bei bezahlbarem Wohnraum, bei der Ärzteversorgung auf dem Land. Wir haben die Kraft, unser Land zu modernisieren.
Wie bewerten Sie im Nachhinein den Tweet der SPD-Landtagsfraktion, in dem ein Zusammenhang zwischen dem Mord an Walter Lübcke und hessischen CDU-Politikern hergestellt worden war?
Inhaltlich hat sich der Sohn von Walter Lübcke dieser Tage ähnlich geäußert, aber in seiner Aufmachung und in seiner verkürzten Form war der Tweet misslungen, das gebe ich zu. Ich fand es allerdings unterirdisch, wie die CDU den Tweet dann benutzt hat, um Nancy Faeser zu verunglimpfen - denn die hatte damit überhaupt nichts zu tun. Ich könnte bei der Gelegenheit übrigens an die Entgleisung von Michael Brand erinnern – immerhin stellvertretender Landesvorsitzender der hessischen CDU und Bundestagsabgeordneter – der in der Fuldaer Zeitung gerade erst Olaf Scholz für die Toten in der Ukraine verantwortlich gemacht hat. Dass ein Wahlkampf robust geführt wird, ist in Ordnung – aber er darf nicht schmutzig werden. Ich hoffe, dass das unsere politischen Mitbewerber auch beherzigen.
Das Interview führte Niklas Hecht.