Freiheiten und App-Hängigkeiten
Nicht nur die Banalitäten des Alltags nahm Kabarettist Lars Reichow im Wetzlarer Lotte-Hof auf die Schippe. Wortgewaltig strafte er auch Politiker ab, die die Freiheit beschneiden wollen.
Ein wunderbar lauer Sommerabend in »Goethes Knutschecke«. Kabarettist Lars Reichow begrüßte die laut »Trump-Institut« 10 000 Besucher seines Kabarettabends vor dem Wetzlarer Lottehaus – dort wo der deutsche Dichterfürst einst vergeblich der geliebten Charlotte den Hof machte. Doch für Liebesgefühle war trotz des romantischen Sonnenuntergangs hinter der Bühne wenig Platz in seinem Programm.
Beispiel Dieselskandal: Jener Kraftstoff sei doch so gesund, »den können Sie trinken oder sich damit einreiben«. Und jetzt kämen die Amis und würden die deutschen Autos schlecht machen. Nur weil sie selbst keine hinbekämen? »Präsidenten kriegen sie auch nicht hin. Im Weißen Haus regiert ein Irrer.« Da müsse selbst die Kanzlerin bekennen: »Das schaffe ich nicht.
Populisten sollen Koffer packen
Und Erdogan, der »Kummer-Türke«, ein Demokratie-Zerstörer a la »Döner for one«, der kein Verhältnis zur Wahrheit habe. Auf welche Nachbarn könne man sich noch verlassen? »Auf Polen?«, fragt Reichow fast verzweifelt in die Runde und muss zynisch lachen: »Der Kaczynski braucht doch eine Betreuung.
« Verlass sei einzig und allein noch auf die Franzosen mit Macron an der Spitze. Der passe auch altersmäßig zu Merkel.
Reichows Rat an die Populisten, Autokraten und Diktatoren ist gleichzeitig eine Forderung: »Ihr Trumps, Erdogans, Orbans und Kaczynskis: In einem freien Europa das wir wollen, habt ihr keinen Platz. Packt eure Koffer. Es sind gerade sieben erdähnliche Planeten entdeckt worden. Da wir ja wohl einer dabei sein.« Von der großen Politik führten Abzweigungen in die Tücken des Alltags. Beispiel: Zum ersten Mal mit dem Campingmobil nach Norwegen. Die Vorgabe: »Ich fahre solange es hell ist«, kann dort zu ziemlich langen Etappen führen. Immerhin, man hat alles auf einem kleinen Fleck, kann also während der Fahrt duschen oder kochen. Auch wenn die Toilette eine Schublade ist, in die man rückwärts »einparken« muss.
Immerhin, so Reichows positive Feststellung, sei der Mann mit 50 einerseits auf der Höhe seiner fachlichen Kompetenz und gleichzeitig auf dem Zenit seiner körperlichen Fähigkeit. Und ein Frauenversteher. Jedoch: Haare wachsen an Stellen, wo man es nicht für möglich gehalten hätte, nur nicht auf dem Kopf. Und die Kosennamen änderten sich auch: vom »Tiger« in den Nagerbereich. Turbulent, wie bei Reichow ein freier Tag in einer Katastrophe endet. Die Feststellung seines Sohnes, der Vater nutze bei seinem Handy ja nur einen Bruchteil seiner Möglichkeiten, kontert Reichow mit dem Verweis auf das Zeugnis des Filius’: »Du auch!«
Nachdenkliche Passagen
Doch der verbale Slapstick findet bei ihm auch seinen Kontrastpunkt in nachdenklichen Passagen: »Die Freiheit ist für einen Flüchtling, noch zu leben.« Auch in seinen selbst am Klavier begleiteten Liedern wie dem über sinkende Flüchtlingsboote und satte Wohlstandsbürger oder über die »App-Hängigkeit« von moderner Technik gehen deutliche Kritik und ironische Überspitzung Hand in Hand.
Reichows satirischer Rundumschlag über tatsächliche, vermeintliche und nicht genutzte Freiheiten war Kabarett vom Feinsten: kritisch, mit manchem Schenkelklopfer – aber auch mit Humor, der einem manchmal im Halse stecken blieb. Auch Frotzeleien aus Wetzlarer Sicht auf die größere Nachbarstadt Gießen durften da nicht fehlen. Dem Wettergott jedenfalls schien es auch gefallen zu haben, schickte er doch erst zum Ende des Programms ein paar wenige Tropfen auf die heißen Steine des Lottehofs.