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Flüchtlinge feiern gemeinsam Weihnachten in Südhessen

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Egelsbach (dapd). Ruta möchte nicht mehr länger warten. Die Achtjährige öffnet das Geschenkpapier vorsichtig an einer Ecke und lunst in das Paket. »Eine Handtasche«, sagt sie grinsend.

Im Hintergrund leuchten Kerzen an einem Tannenbaum. Verone Schöninger und ihre Kollegin von der christlichen Flüchtlingshilfe Egelsbach/Erzhausen verteilen Geschenke an die Kinder, die im Raum herumtoben. An Tischen verteilt sitzen ihre Eltern. All die Menschen im Raum eint ein Schicksal: Sie sind aus politischen oder religiösen Gründen aus ihren Heimatländern geflohen und haben in Egelsbach vorerst ein neues Zuhause gefunden.

An das Weihnachtsfest in ihrer Heimat Eritrea kann sich Ruta nicht mehr erinnern. Ihr Vater muss nachhelfen: »Wir hatten dort auch einen Weihnachtsbaum«, sagt er. Vor zwei Jahren floh die Familie nach Deutschland – aus politischen Gründen. In dem nordostafrikanischen Land herrsche eine Militärdiktatur. Rutas Vater fürchtete Repression und Verfolgung.

Viele der 45 Menschen, die derzeit in der Unterkunft der christlichen Flüchtlingshilfe untergebracht sind, stammen aus Eritrea, andere aus Afghanistan. Verone Schöninger kennt all ihre Geschichten. »Manche sind offiziell als Flüchtlinge anerkannt, haben aber bisher keine Wohnung finden können und wohnen daher bei uns«, berichtet sie. Bei anderen gelte der Status der Duldung, also eine »vorübergehende Aussetzung der Abschiebung«. Bei diesen Menschen bestehe ein »Abschieberisiko«, sagt Schöninger.

Sie erzählt von einer Familie, die zwölf Jahre auf die Entscheidung über das Asylverfahren warten musste. Ihre Organisation tue daher alles dafür, dass sich die Flüchtlinge in Egelsbach wohlfühlten. Die Unterkunft besteht aus abgetrennten Wohneinheiten mit eigenem Bad und Küche. »Damit die Menschen als Familie zusammenleben können«, wie Schöninger erläutert. Das gilt auch fürs Weihnachtsfest. Auch wenn viele der Flüchtlinge muslimisch sind. Die Geschichte von Jesus ist den meisten vertraut. Maria kommt als Meryem im Koran vor.« Und Weihnachten feiern sei auch ein Stück weit Integrationsarbeit.

Nicht in allen der hessischen Einrichtungen für Flüchtlinge dürfte nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl so etwas wie Weihnachtsstimmung aufkommen. »Die Einrichtungen sind sehr verschieden«, sagt Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer bei Pro Asyl. Für viele negative Schlagzeilen sorgte in der Vergangenheit etwa ein Containerlager in Oberursel. »In solchen Heimen herrscht oft eine niederschmetternde Atmosphäre vor. Für die Menschen ist das zusätzlich entmutigend und frustrierend«, sagt Mesovic, »nicht wenige von ihnen sind durch Krieg in den Heimatländern oder die Fluchterfahrung traumatisiert«.

So wie die 34-jährige Mahnaz aus Afghanistan. Sie floh vor eineinhalb Jahren mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Mit 15 Jahren sei sie zwangsverheiratet worden, berichtet sie mit leiser Stimme. Als sich ihr Mann von ihr trennte, habe sie begonnen, für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Vor ihr auf dem Tisch stehen Kekse und ein Weihnachtsstern mit leuchtend roten Blüten. Das Fest sei ihr vertraut, sagt sie. »Bei der UN hatte ich viel mit Amerikanern zu tun. Die haben immer traditionell Weihnachten in Kabul gefeiert.«

Doch arbeitende Frauen gelten in Afghanistan in manchen Gegenden als verpönt. Und die Sicherheitslage bereitete Mahnaz Sorgen. Sie beschloss zu fliehen. Zu Fuß gelangten sie und ihre Kinder in den Iran, dann in die Türkei und schließlich nach Griechenland, von wo aus ein Flugzeug sie nach Deutschland brachte.

»Ich fühle mich sicher«, sagt die zierliche Frau, »und meinen Kindern geht es hier besser«. Aber die Erinnerungen an die Vergangenheit in Afghanistan quälten sie. Sie habe Depressionen, nehme Tabletten. Ihre Zukunft sei trotz Aufenthaltserlaubnis in Deutschland ungewiss. Ein bisschen Zuversicht gebe ihr ein Integrationskurs, in dem sie Deutsch lernt. Im Januar steht die Abschlussprüfung an. Ihre Tochter ist 16, ihr Sohn 14 Jahre alt. Im nächsten Jahr möchten sie wieder Weihnachten feiern.

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