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Feuer, Blut und Konfetti

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Von: Julian Wessel

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Kiss heizen Publikum in Frankfurt ein: US-Rocker gehen auch im Rentenalter noch richtig ab. Fantasy-Rüstungen und Plateauschuhe inklusive. Altbewährte Song-Kracher dürfen natürlich nicht fehlen.

Sie sehen aus, als seien sie aus einem Comic-Universum auf die Bühne der Frankfurter Festhalle gebeamt worden. Einem Kosmos, in dem sich Männer, die auf unserer Seite des Glitter-Äquators bereits das Rentenalter erreicht haben, sich schwarze Sterne und Katzenhaare ins Gesicht pinseln und sperrige Fantasy-Rüstungen auf Plateauschuhen durch die Gegend tragen. Seit über 40 Jahren funktioniert das Erfolgsrezept und hat Kiss zu Legenden gemacht. Der dazugehörige Soundtrack kommt wie ein Erdbeben über die nicht restlos ausverkaufte Festhalle, inklusive Feuer, Blut und Konfettiregen. Die US-Rocker präsentierten ein bis ins Detail durchkalkuliertes Show-Erlebnis, das vor allem eins machte: Spaß!

Mit den Klassikern »Deuce« und »Shout It Out Loud« sind Band und Publikum ohne Umschweife von null auf hundert. Anschließend widmen die Musiker den Opfern des Terroranschlags in Manchester eine Schweigeminute. Mit »Lick It Up« nehmen die vier dann wieder Fahrt auf und schieben mit »I Love It Loud« einen weiteren Partykracher hinterher, der wörtlich zu nehmen ist. Die Setliste, seit Beginn der Tour etwas eingedampft auf rund 105 Minuten, knausert mit Überraschungen. Mit »Say Yeah« gibt es nur eine Nummer aus den letzten Schaffensjahren, das selten gespielte »Flaming Youth« von 1976 wird von den oft nach Art ihrer Idole geschminkten Fans gefeiert.

Man setzt auf Bewährtes. Warum auch nicht? In der Halle sind viele, die Kiss an diesem Abend zum ersten Mal live sehen, wie Sänger und Gitarrist Paul Stanley sich per Handzeichen anzeigen lässt. »Ihr werdet diesen Abend nie vergessen«, verspricht er. Seine Band (mit Eric Singer und Thommy Thayer an Schlagzeug bzw. Leadgitarre) zeigte sich tatsächlich in guter Form. Das war nicht immer so. Staunend recken sich die Köpfe in den Nacken, wenn sich Gene Simmons – mit Dämonenschminke und Fledermauskostüm – hoch unter der Hallendecke schwebend Kunstblut aus dem Mund laufen lässt, wozu sein Bass düster-surrende Töne spuckt. Erfreulich: Der Donnergott mit dem ihm eigenen diabolisch-juvenilen Charme ist gut bei Stimme wie lange nicht.

Anders Paul Stanley. Schon in seinen bellenden Ansagen droht die Stimme immer wieder zu kippen, tonsicher ist er vor allem in den hohen Passagen nicht. Doch wenn der unermüdliche Animateur bei dem selbstreferentiellen »Psycho Circus« über die Köpfe der Menge zu einer Plattform beim Mischpult fliegt, ist das nebensächlich. Sein Mikro scheint ohnehin absichtsvoll leiser abgemischt zu sein.

Immer wieder krachen Salutschüsse durch die Halle, schießen Feuersäulen unter die Decke. Kiss mögen es heiß. »Es ist wunderbar, zusammen zu schwitzen«, bringt Stanley (im bauchfreien Top mit Fuchsschwanz am Gesäß – das muss man erst mal tragen können!) die Formel des Rock’n’Roll auf den Punkt, den er als Vorsitzender der »Hottest Band In The World« seit Dekaden zelebriert. Außer Kontrolle gerät diese nostalgische Achterbahn nie. Als die letzten Noten von »Detroit Rock City« verklungen sind hat sich die Halle wie eine Sauna aufgeheizt. Pulverdampf liegt in der Luft. Aber die Schminke sitzt. Julian Wessel

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