D-Mark schlummert in Wohnwagen oder Büchern
Gießen (kw). Zehn Jahre nach der Euro-Einführung kommen im Schnitt immer noch jeden Tag elf Kunden mit Mark und Pfennig zur Bundesbank-Filiale in den Wiesecker Weg.
»Was, das Sofa soll 800 Euro kosten? Das sind ja 1600 Mark!« Trotz der Einführung des Euro-Bargelds vor zehn Jahren rechnen viele Menschen gerade bei größeren Anschaffungen nach wie vor um. Die ausrangierte Währung ist aber nicht nur in den Köpfen noch aktuell, sondern auch ganz handfest in Form von Scheinen und Münzen. Allein in die Gießener Bundesbankfiliale – eine von 47 bundesweit – kamen dieses Jahr viele Kunden, um Mark und Pfennig umzutauschen, oft große Summen. Bis Mitte Dezember brachten etwa 2630 Bürger 1,35 Million Mark in den Wiesecker Weg, berichtet eine Sprecherin der Bundesbank auf GAZ-Anfrage.
Das bedeutet pro Tag durchschnittlich elf Besucher, von denen jeder 5500 Mark bei sich hat. Das ist etwas weniger als im Jahr zuvor, als im Schnitt dreizehn Kunden mit je 6500 Mark gezählt wurden.
Das alte Bargeld taucht auf zum Beispiel bei Erbschaften, Haushaltsauflösungen oder Umzügen. Manchmal bekommen die Mitarbeiter am Schalter die Geschichten glücklicher Funde zu hören, so die Bundesbank-Sprecherin. Etwa: Bei der Reinigung eines Wohnwagens vor dem Verkauf kommen 2500 Mark Urlaubsgeld zum Vorschein, die dort vergessen worden waren, als eine geplante Reise kurzfristig platzte. Dann das von der Tante geschenkte und nie gelesene Buch, in dem ein 50-Mark-Schein steckt; die Flasche mit Pfennigen für die Brautschuhe, die im Schrank vergessen wurde; der alte Spielautomat im Keller, der jahrelang mit Münzen gefüttert wurde. Hinter Tapeten, in Tablettenröhrchen oder in Vorhängen haben Deutsche der Generation, die Wirtschaftskrisen und Flucht erlebte, Tausende als »Notgroschen« versteckt. Andere sammelten jahrelang Zehn-Mark-Sondermünzen, die einst als Wertanlage galten.
85 Pfennig aus der Büroschublade – soll ich die einfach wegwerfen? Auch solche Beträge nimmt die Bundesbank gebührenfrei und zeitlich unbegrenzt zurück. Gießener haben das Glück, eine Filiale vor Ort zu haben – noch, denn sie soll (wie berichtet) Ende März 2015 zwecks Kostenersparnis schließen.
Viele andere Bürger nutzen bei solchen Funden, dass manche Geschäfte nach wie vor die alte Währung annehmen. Bei C & A in Gießen komme es gelegentlich noch vor, dass jemand mit Mark und Pfennig bezahlt, berichtet Geschäftsführer Markus Stroh. »Darum ist es aber recht ruhig geworden. Vor drei, vier Jahren wurde das Angebot noch deutlich häufiger genutzt.«
Eigentlich dürfte so bald kein Ende der Geldfunde in Sicht sein: Fast unglaubliche 43 Prozent aller Münzen, die bis zum im Jahr 2000 ausgegeben wurden, sind noch nicht zurückgegeben, so die Bundesbank. Bei den kleinsten – zehn Pfennig und weniger – fehlten mehrere Milliarden Stück. Viele davon seien wohl unwiederbringlich verloren gegangen, andere werden wegen des geringen Werts nicht umgetauscht.
Bei den Scheinen seien größere Mengen im Ausland zu vermuten: Vor allem im ehemaligen Jugoslawien und in anderen Teilen Osteuropas war die Mark zum Teil »Zweitwährung« und wurde weltweit als Transaktions- und Wertaufbewahrungsmittel genutzt. Über 98 Prozent wurden bereits umgetauscht – allerdings fehlen immer noch 172 Millionen Stück, auch hier in erster Linie die »kleinen«: Von den Zehn-Mark-Scheinen sind erst 60 Prozent, von den Zwanzigern 80 Prozent zurückgeflossen. Insgesamt gelten offiziell 13,3 Milliarden Mark als noch »im Umlauf«.
Es soll im Übrigen auch Menschen geben, die seit Jahren mit voller Absicht altes Bargeld zu Hause horten – für den Fall, dass die deutsche Währung wiederkommt. Das wirkt in Zeiten der Euro-Krise nicht mehr so skurril wie noch vor einigen Jahren.
Bei der Bundesbank allerdings würden Mark und Pfennig weiterhin vernichtet und nicht etwa vorsorglich aufbewahrt, versichert die Sprecherin: Die Banknoten werden nach Überprüfung der Echtheit geschreddert und dann im Regelfall verbrannt (»der thermischen Verwertung zugeführt«). Die Münzen werden an die deutschen Münzstätten zurückgegeben, im Auftrag des Bundesfinanzministeriums mit speziellen Maschinen entwertet und verschrottet.