Bischof Kohlgraf fordert Kulturwandel der Kirche

Mainz - Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat sich entsetzt über die jetzt in einer Studie bekannt gewordenen Fälle von sexueller Gewalt in dem Bistum und über das Verhalten seiner Vorgänger im Umgang mit Missbrauchsopfern gezeigt. »Mehrfach waren die Schilderungen für mich als Christ und Mensch zutiefst erschreckend«, sagte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Mainz.
Es habe in der katholischen Kirche ein Systemversagen gegeben. »Fehlende Verantwortungsübernahme hat Missbrauch begünstigt«, kritisierte er. Es falle ihm nicht immer leicht, für eine derartige Gestalt von Kirche, »die keineswegs überwunden ist«, Verantwortung zu übernehmen.
Es war Kohlgrafs erste ausführliche Stellungnahme zu den Ergebnissen der Untersuchung. Die am vergangenen Freitag veröffentlichte, mehr als 1100 Seiten umfassende Studie des unabhängigen Rechtsanwalts Ulrich Weber hatte ergeben, dass jahrzehntelang Fälle von sexueller Gewalt nicht konsequent verfolgt, teils verschwiegen und verharmlost wurden. Das Bistum Mainz liegt zu etwa zwei Dritteln in Hessen.
In sehr persönlichen Worten ging Kohlgraf, der seit 2017 an der Spitze des Bistums steht, auf seinen Vorgänger Kardinal Karl Lehmann (1936-2018) ein, der lange auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. Er sagte: »Ich erschrecke, wenn ich davon lese, dass ein Bischof, der immer wieder ein menschenfreundliches Gesicht gezeigt hat, in der Begegnung mit Betroffenen sexualisierter Gewalt eine unglaubliche Härte und Abweisung zeigt.« Lehmann verkörpere im Umgang mit Missbrauchsopfern eine Kirche, »die abgrenzt und sich ihrer Verantwortung nicht stellt«.
Kohlgraf legte den Finger tief in die Wunde und sprach von einem Versagen nicht nur an der Spitze bei den Verantwortlichen des Bistums, sondern auch auf unteren Ebenen: in den Gemeinden und sogar in Familien. Die Ursachen dafür sieht der Bischof auch in der Struktur der katholischen Kirche und einem weitverbreiteten Priesterbild. »Gemeinden haben ihre Priester auf ein Podest gehoben, das sie unangreifbar macht. Es konnte nicht geschehen sein, was nicht sein durfte«, kritisierte Kohlgraf.
Der Mainzer Bischof machte deutlich: »Eine solche Kirche will ich nicht mehr und viele Menschen ebenfalls nicht.« Er dankte allen Betroffenen, die von ihrem Leid berichtet hätten. Das Sprechen über sexualisierte Gewalt soll kein Tabu mehr in der Kirche sein. Er sprach von einem »Kulturwandel«, der seit einigen Jahren im Bistum Mainz stattfinde. Er verwies auf Präventionsschulungen, an denen bereits 20 000 Haupt- und Ehrenamtliche teilgenommen hätten.
Es gibt Widerstände
Kohlgraf räumte ein, dass es in der katholischen Kirche Widerstände gegen eine Kulturveränderung gebe. Der Prozess erscheine ihm aber unumkehrbar. »Missbrauch ist immer verbunden mit Machtausübung, einer bestimmten Sexualmoral und dem kirchlichen Umgang mit ihr, mit männerbündischen Netzen und auch der priesterlichen Lebensform und deren Selbstverständnis - unbeschadet der Tatsache, dass es nicht nur Missbrauchstäter aus dem Priesterstand gab und gibt.« dpa