»Artenvielfalt berührt auch die Bauern«

Überdüngung, Einsatz von Pestiziden, Monokulturen: Die Bauern sind regelmäßig Ziel von Vorwürfen, wenn das Thema Insektensterben auf die Tagesordnung kommt. Peter Voss-Fels, Geschäftsführer des hessischen Bauernverbands, sieht seine Kollegen auch in der Verantwortung, dem Artenrückgang entgegenzuwirken. Aber nicht nur sie allein.
Klimawandel, Flächenverbrauch und Bebauung sind einige Gründe, die Umweltverbände für das Insektensterben angeben. Zuvorderst wird aber auch die Landwirtschaft genannt. Was sagen Sie dazu?
Peter Voss-Fels: Selbstverständlich hat landwirtschaftliches Wirtschaften im Offenland einen Einfluss auf die Mitlebewesen, auf die Flora, Fauna, Biodiversität und die Artenvielfalt. Das wird auch nicht geleugnet. Aber die Landwirtschaft ist nicht der einzige Akteur. Da gibt es ganz viele Einflussfaktoren. Wenn wir die Situation verbessern möchten, dann müssen wir alle Akteure, auch die Verbraucherverbände und die Naturschutzverbände bitten, am gleichen Strick zu ziehen, damit wir hier vorwärtskommen. Letztlich geht es auch um konkurrierende Ziele: regionale Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln kontra Biodiversität und Artenvielfalt. Anders ausgedrückt: Wo eine Blühwiese ist, da wächst kein Weizen.
Was kritisieren denn die Landwirte in dieser Diskussion?
Voss-Fels: Ein bedeutender Aspekt ist unsere gesellschaftliche Entwicklung. Da hat sich in den letzten 20, 30 Jahren mindestens so viel getan wie in der Landwirtschaft: unser Wohlstand, unser Freizeitverhalten. Vor 30 Jahren haben Sie keinen gesehen, der mit Hunden im Feld rumgelaufen ist. Die Menschen haben sich da mehr noch dem Erwerbsleben zugewendet. Heute haben wir eine Freizeitgesellschaft. Wir nutzen mehr die Umwelt auf Graswegen, auf Grünwegen, in Rückzugsgebieten für wild lebende Tiere. In dem Maße, in dem wir das tun - und das manchmal auch nicht sensibel genug - hat das extreme Auswirkungen auf Biodiversität und Artenvielfalt. Wenn Sie ein Rebhuhn mit dem Hund zweimal am Tag besuchen, dann wird es da nie mehr ein Nest bauen. Oder ein Hase. Oder andere Feldtiere.
Was folgt daraus?
Voss-Fels: Das heißt, nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Gesellschaft muss unseren Mitlebewesen Rückzugsräume lassen. Wir müssen Grünwege und Randstreifen haben, die tabu sind. Da, wo das Wohnzimmer von Niederwildarten ist, die gefährdet sind, oder wo wir Rückgänge zu verzeichnen haben. Und da kann sehr gut der Naturschutz auch mitmachen. Durch Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung. Das ist ja nicht nur böser Wille, wenn der Hund da laufen will, der hat auch sein Bedürfnis und will frei laufen. Die Katze auch. Nur haben die konkurrierende Interessen zu den anderen Tieren dort - zu Feldlerche und anderen Bodenbrütern. Deshalb müssen wir hier ein Stück Ordnung schaffen. Da kann der Naturschutz sehr gut helfen bei einer öffentlichen Sensibilisierung, dass hier ein Rückzugsraum für Wildtiere ist. Und da muss die Landwirtschaft auch mithelfen, Maßnahmen zu schaffen, wo so etwas möglich ist. Wichtig ist das erfolgreiche Zusammenspiel aller Akteure. Es hilft nicht, wenn jeder nur auf den anderen zeigt. Das muss in der großen Einsicht geschehen, dass alle hier mehr oder weniger ihren Einfluss haben in den Auswirkungen.
Sehen Sie auch Fehler der Landwirte in der Vergangenheit, und hat es ein Umdenken gegeben? Inwieweit trifft Kritik von Umweltverbänden zu?
Voss-Fels: Generell gesehen gibt es ein Umdenken. Das Thema Biodiversität und Artenvielfalt berührt die Bauern auch sehr. Wir haben dieses Jahr ja auch schon Saatgut für Blühstreifen verkauft und sehen wie der Zuspruch dafür ist. Die Bauern werden allerdings nicht die Einzigen sein, die etwas verbessern können. Aber sie müssen auch einen Beitrag leisten, was vielleicht in der Vergangenheit nicht in dem Ausmaß und Umfang geschehen ist.
Welche Initiativen gibt es seitens des Bauernverbandes, dem Insektensterben entgegenzuwirken?
Voss-Fels: Wir machen Blühstreifen der Umwelt zuliebe. Oder das bienenfreundliche Hessen, das machen wir zusammen mit unserem Landwirtschaftsministerium. Die Initiative heißt: »Hessens Landwirtschaft blüht für Bienen. Landwirte und Imker sind Partner«.
Es gibt ja immer mal wieder den Vorwurf, dass ein Feldweg plötzlich im Acker verschwunden ist. Dadurch gehen ja auch Streifen für Insekten verloren. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Voss-Fels: Grundsätzlich: Ein Acker, den der Bauer bewirtschaftet, hat vier Eckpunkte, vier Grenzsteine. Der Bauer darf innerhalb dieser vier Grenzsteine wirtschaften. Wenn einer meint, er kann das Nachbargrundstück mitbewirtschaften, dann kann man nicht sagen, dass das in Ordnung ist und das soll er machen. Die Nachbargrundstücke muss man respektieren. Aber das tun ja auch 99 Prozent der Bauern. Es gibt natürlich auch ein paar, die denken da anders. Das geht natürlich nicht. Wenn jetzt aber agrarstrukturelle Belange da sind, dann kann man verantwortbar einen solchen Grünweg wegmachen, wenn man dafür an anderer geeigneter Stelle einen Ausgleich schafft. Da haben wir eigentlich auch eine ganz gute Zusammenarbeit mit den Naturschutzverbänden und auch eine Info-Broschüre erstellt, wie wir das am besten hinkriegen.
Die heimische Landwirtschaft steht in einer globalisierten Welt auch in Konkurrenz zum Weltmarkt. In vielen Ländern ist man beim Vernichten von Biotopen oder der Verwendung von Pestiziden nicht von großen Zweifeln geplagt, siehe USA oder Brasilien. Provokant gefragt: Bleibt am Ende zum Überleben der Betriebe hierzulande nur noch Skrupellosigkeit oder sehen Sie auch Nischen für eine »ethische« Landwirtschaft?
Voss-Fels: Ich denke, da gibt es auch Wege dazwischen. Es gibt nicht nur das Skrupellose und die ethische Landwirtschaft. Das sind die Extrempole. Aber wir brauchen auch in Hessen eine Landwirtschaftspolitik mit Herz und Verstand. Wir haben jetzt schon mit der Landwirtschaftsministerin erreicht, dass wir eine vielfältige Fruchtfolge in Hessen gefördert bekommen. Das heißt, dass Legominosen, also Stickstoffsammler, und Eiweißpflanzen angebaut werden können. Das sind Boden- und Ackererbsen, die dann als Ersatz für Sojaschrot in die Schweine- oder Kuhfütterung gelangen.
Das hätte welchen Vorteil?
Voss-Fels: Dann brauchen wir natürlich weniger Sojaschrot zu importieren, was die Bauern ja nicht aus Jux und Dollerei machen, sondern weil sie die Tiere mit Eiweiß versorgen müssen. In dem Maße, in dem wir jetzt selbst heimisches Eiweiß anbauen und Sojaschrot zu 70, 80 Prozent ersetzen können, wären wir - was Urwaldabholzung betrifft - schon einen Riesenschritt weiter. In Hessen sind wir auf einem guten Weg, dass wir auf 15 Prozent der Fläche diese Kulturen anbauen können. Da schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe: eine breitere Fruchtfolge, neue Früchte, wir können heimisches Eiweiß anbauen und wir können dadurch verhindern, dass zusätzlicher Regenwald gerodet wird.
Und wie sieht das auf der Verbraucherseite aus?
Voss-Fels: Unser Ziel muss es sein, dass die hessischen Bauern für die hessische Bevölkerung Nahrungsmittel produzieren. Transparent, in der Nähe, ohne riesen Transportkosten. Und dass wir auch ein bisschen das Verbraucherverhalten beeinflussen und eine Einsicht schaffen, dass wir nicht an Weihnachten Erdbeeren essen oder im Sommer Ski fahren wollen. Das Verbraucherverhalten müssen wir auf die Naturgegebenheiten hier in Hessen anpassen.
Stichwort erneuerbare Energien: Das Anbauen entsprechender Pflanzen birgt das Risiko von Monokulturen, die den Insekten auch nicht zwingend entgegenkommen.
Voss-Fels: Beim Thema Bioenergie müssen wir aufpassen und das fachlich weiterentwickeln, dass das nicht zwangsläufig eine Ausdehnung der Maisflächen bedeutet oder Mais in Monokultur. Sondern dass wir andere Pflanzen einbeziehen können, die auch Biomasse für regenerative Energien bilden, und dass wir das züchtungsmäßig noch weiterentwickeln können. Was bisher am besten funktioniert, ist eben der Mais. Aber wir wollen da auch noch alternativ andere Pflanzen einbeziehen und nicht in die Sackgasse Monokultur Mais laufen. Wir haben aber in Hessen gerade mal auf zehn Prozent der Fläche Maisanbau. Da haben wir es noch nicht übertrieben.
Das Höfesterben führt zu immer größeren Betrieben. Ist die Agrarindustrie die Zukunft der Landwirtschaft oder geht es nicht auch ein bisschen kleiner?
Voss-Fels: Was weg ist, neu zu schaffen, ist immer schwierig. Wir merken aber schon, dass es auch Trends gibt, dass die Landwirtschaft komplizierter wird, dass der Markt vielfältiger wird, dass nicht nur viel und billig gefragt wird, sondern nach Regionalität bis hin zu Ökoproduktion. Da sehen wir schon eine Chance für den einen oder anderen Betrieb - angefangen von Direktvermarktung über andere Stallhaltungsformen bis hin zur Ökolandwirtschaft, wenn der Absatz da ist. Aber es wird nicht einen Bereich geben, sondern eine Kombination von vielen, weil wir nach wie vor Menschen haben werden, die über den Preis kaufen, andere über Produktionsstandards.
Trotzdem, die Landwirtschaft ist beim Insektensterben ein Teil des Problems, Stichwort: Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln.
Voss-Fels: Das ist ein komplexes Thema. Wir haben Insekten, die sind uns lieb, und wir haben Insekten, die sind uns nicht lieb. Die Bestäuber sind auch den Landwirten lieb. Und Läuse und andere Schädlinge wollen die Bauern nicht. Die Honigbiene wird von den Menschen geliebt, und der Borkenkäfer wird von den Forstleuten sehr gehasst. Wir können nicht alles wegmachen, was uns nicht lieb ist. Wir können aber auch nicht alles laufen lassen. Ein gewisses Maß an Bekämpfung muss möglich sein. Aber: Wir müssen auch das mit Herz und Verstand machen. Und ich kann sagen, dass wir letztes Jahr sehr wohl eine Meldung vernommen haben, dass die Schmetterlinge zugenommen haben.
Kann es auch ohne Chemie gehen?
Voss-Fels: Die entscheidende Frage ist: Kann die deutsche, kann die hessische Landwirtschaft unsere Verbraucher ernähren? Ohne Chemie, ohne Hilfsmittel, ohne Pflug? Da kann ich nur sagen: Dann werden die Hessen verhungern. Oder wir importieren die Nahrungsmittel und exportieren die Probleme, die wir eigentlich hier lösen sollten, woanders hin. Die Frage müssen wir uns stellen, und die müssen wir auch sehr ernst nehmen. Auch hier mit Herz und Verstand.